172
Xiii. §. 3. Entstehungsgeschichte Rom's.
Heiligthümer und Priester hatte. Jede Tribus war in zehn Curien,
das ganze Volk also in dreißig Curien getheilt, die dann wieder in
verschiedene Unterabtheilungen bis hinab zu der einzelnen Gens zer-
siel. Gens aber hieß der Familienverband, die Geschlechtsverwandt-
schaft, die durch den Allen gemeinsamen Namen erkennbar war, und jede
Gens hatte wieder ihre besonderen Familienopser, Familiengötter, Fa-
miliengebräuche, namentlich auch ihre besonderen Clienten. Das waren,
wie schon erwähnt wurde, abhängige Leute, welche durch religiöse
Verpflichtungen dem Haupte der Familie zu bestimmten Dienstleistun-
gen verbunden waren, und dafür den Schutz und die Vertretung,
Berathung und Aushülfe des Familienhauptes als ihres Patrons ge-
nossen. So sorgfältig wurde jeder einzelnen Genossenschaft innerhalb
der römischen Gemeinde ihr Bezirk abgegrenzt, auf welchem sie sich
als auf ihrem eignen Gebiet frei und unbehindert bewegen konnte.
Dagegen war auch ebenso sorgsam vorgesehen, daß keine dieser bis
auf einen gewissen Grad selbständigen Gemeinschaften die übrigen,
oder auch nur die nächst benachbarten hindern oder gar verletzen,
sondern alle in freier und kräftiger Weise zur gegenseitigen Förderung
und zum Wohl des Ganzen Zusammenwirken möchten.
Die Entstehungsgeschichte Rom's ist ebenso wie die jeder andern
Stadt oder Nation in Sagen gehüllt. Das Jahr 753 wird als das
Jahr der Erbauung Rom's angenommen, also die Zeit, wo die Assyrer
anfingen, das Reich Israel zu bedrängen. Romulus, später als Gott
verehrt und Quirinus genannt, wird als Gründer und Erbauer der
Stadt gepriesen, aber zugleich als Mörder seines Bruders Remus mit
dem Kainszeichen gebrandmarkt, ein Zeichen, welches das ganze rö-
mische Volk, das sich selbst ein Räubervolk zu nennen liebt, nie wieder
von seiner Stirn hat wischen wollen oder können. Als eine Räuber-
schaar erscheint die erste latinische Colonie, welche sich mit Romulus,
der aus Alba Longa stammte, an den Ufern der Tiber auf dem pala-
tinischen Hügel anstedelte. Durch Raub wurden die Weiber und
Töchter der Sabiner gewonnen, und der Sabinerkönig aus Cures be-
wogen, sich mit seiner sabinischen Gemeinde auf dem capitolinischen und
quirinalischen Hügel niederzulassen. Nach der Ermordung dieses Kö-
nigs Titus Tatius ward Romulus von den Latinern und Sabinern
und den inzwischen noch hinzugetretenen Etruskereolonieen auf dem cö-
lischen Hügel als gemeinschaftlicher König anerkannt. Eine Anzahl von
100 Familienhäuptern aus jeder Tribus stand als Senat ihm zur
Seite und hinderte ihn an jedem Mißbrauch seiner Königsgewalt zu
despotischer Willkür. Als aber Romulus gleichwohl seinen Eigen-
willen geltend machen wollte, da wußte der Senat ihn schnell zu besei-
tigen und ließ ihn unter einem ehrenvollen Vorgeben plötzlich ver-
schwinden. So war der Anfang Rom's nach der eignen Sagenge-
schichte der Römer durch Gewaltsamkeit der schlimmsten Art befleckt.
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178 Xm. §. 6. Veränderungen in Rom und Vertreibung der Könige (510).
erst nach mehrhundertjährigem Kampf. Für die nächste Zeit konnten
sie noch nichts weiter gewinnen, ja, durch das gewaltsame Gebühren
des letzten Königs Tarquinius Superbus, der den orienralischen
Alleinherrn spielen wollte, schienen sogar die kaum gewonnenen Vor-
theile wieder verloren, die Grundlagen der weitern Staatsentwick-
lung wieder niedergeriffen zu werden. Aber sie waren zu fest auf
weise Erwägung der Verhältnisse gegründet und zu deutlich aus
einem unabweisbaren Bedürfniß hervorgegangen, als daß das praktische
Römervolk leichtsinnig den eignen Bau wieder hätte zerstören mögen.
Der König Tarquinius Superbus, der sich gleich anfangs
mit einer Leibwache umgeben hatte, wollte weder dem Senat einen Ein-
fluß auf die Staatsregierung verstatten, noch den Comitien, und indem
er Alles seiner eignen Entscheidung vorbehielt, beleidigte er zu gleicher
Zeit die Patrieier wie die Plebejer. Nicht minder verletzte er durch
seine Anmaßungen die Nachbarvölker, die in einem Abhängigkeitsver-
hältniß zu Rom standen, Latiner und Etrusker, so daß er endlich nir-
gend mehr eilte Partei hatte, auf deren Treue und Ergebenheit er
rechnen foimte. Zwar war er ein großer Kriegsmann und überwand
die Volsker, Aequer und Herniker, die im Süden und Osten der La-
tiner saßen, aber das Heer haßte ihn wegen seines harten und hochsah-
renden Wesens. Zwar verschönerte er die Stadt durch Fortführung der
großen Bauten des Tarquinius Priscus und errichtete das Capitolium
mit seinen herrlichen Tempeln, aber das Volk haßte ihn wegen des
harten Frohndienstes, beit es dabei zu leisten hatte. Und als nun gar
die lasterhafte Begierde seines Sohnes Sertus noch dazu kam, als
selbst die ehrbaren Frauen, inmitten ihrer häuslichen Zurückgezogenheit
nicht mehr vor der lüsternen Gewaltsamkeit des tarquinischen Geschlechts
sicher waren, als Brutus und Collatinus mit dem blutigen Dolche,
mit dem sich die geschändete Lucretia entleibte, Volk und Heer zur
Rache aufrief, fanden sie eine seltene Einmüthigkeit des Entschlusses.
Dem König Tarquinius und seinem ganzen Geschlecht wurden die
Thore der Stadk Rom verschlossen, die Königswürde für ewige Zeiten
abgeschafft, Volkscomitien und Senat in ihre Rechte wiederhergestellt,
und zwei jährlich wechselnde Beamte, erst Prätoren dann Consuln ge-
nannt, statt der Könige an die Spitze des Heeres und der bürgerlichen
Einrichtungen gestellt, doch so, daß sie ihre Instructionen vom Senat
empfingen. Nur für die oberpriesterlichen Functionen, die der König
bisher besessen, wurde ein eigner Opferkönig ernannt, der aber durch-
aus keine sonstige Amtsgewalt hatte. Vergeblich suchte Tarquinius
diese Anordnungen wieder umzustürzen und den Thron wieder zu ge-
winnen. Er wandte sich an die Nachbarstädte, an die Etrusker und
die Latiner, um mit bereit Hülfe sich die Rückkehr nach Rom zu er-
zwingen. Aber nachdem er mehrmals die besten Hoffnungen und Aus-
sicht auf gutes Gelingen gehabt, mußte er endlich die Gedanken völlig
«ufgeben und Rom seiner neuen republikanischen Entwicklung über-
lassen.
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182 Xiii. §. 8. Innere Entwicklung der römischen Republik.
verbunden mit unablässigen Kriegsleistungen und harten Besteuerun-
gen, herbeigeführt war, so suchten sie vor allen Dingen eine neue und
billigere Vertheilung des Ackerlandes herbeizuführen, was ihnen frei-
lich erst in sehr später Zeit vollständig gelang. Sodann aber richte-
ten die Tribunen besonders ihr Augenmerk auf die Feststellung ge-
schriebener Gesetze, durch welche die Plebejer gleiche Rechte mit den
Patriciern vor Gericht erlangen sollten. Wirklich entstanden um 450
die zwölf Gesetzestafeln der Decemvirn und gewährten die verlangte
Rechtsgleichheit. War diese gewährt, so mußte auch die letzte Schranke
zwischen Patriciern und Plebejern fallen, es mußte das Recht der
wechselseitigen Heirath zwischen beiden Theilen nachgegeben werden,
und nun konnte man endlich auch die höheren Staatsämter den mit
Patriciern verschwägerten Plebejern nicht mehr verweigern. In un-
ablässigem Vorschreiten gelangten sie in den Besitz des Consulats, der
Diktatur, endlich auch des richterlichen Prätoramts und des Censor-
amts, welches die Patricier als eine oberste Aufsichtsbehörde über das
Vermögen und die gute Sitte der Bürger ausdrücklich ihren eignen
Standeögenossen Vorbehalten hatten. Die letzten Aemter, die noch zu
erringen waren und endlich auch errungen wurden, waren die prie-
sterlichen; und damit schloß dieser merkwürdige Kampf zwischen den
beiden Tbeilen der römischen Gemeinde ab, mit dem vollständigen
Siege der Plebejer.
Man hat sich zwar gewöhnt, die älteren Zeiten der römischen Repu-
blik als eine herrliche Zeit voll Einfachheit, Nüchternheit, Gerechtigkeit
und Edelmuth anzusehen, und man muß wirklich den Römern das
Zeugniß geben, daß sie in mancher Beziehung eine sehr ehrenhafte Ge-
sinnung bewiesen, namentlich in Vergleich mit der damaligen Sittenlosig-
keit, Schwelgsucht lind Untreue der Orientalen und auch der Griechen.
Aber dadurch wird das andere Urtheil nicht aufgehoben, daß sie so
arge Egoisten waren, wie nur je unter den Heiden gefunden sind.
Gerade die Kämpfe zwischen Patriciern und Plebejern sind so voll der
schrecklichsten Beispiele solcher Eigensucht, die mit allen Mitteln der
Gewalt und List ihre vermeintlichen Rechte durchsetzen will, daß wir
ein langes Register von Frevelthaten aufstellen könnten, welche uns
durch ihre eignen Schriftsteller ausbewahrt sind. Wir erinnern nur
beispielsweise an den Coriolanus, der, wegen seines Hasses und sei-
ner grausamen Vorschläge gegen die Plebejer ans Rom vertrieben, sich
mit den Feinden verband und heraurückte, um seine eigne Vaterstadt
zu bekämpfen; ferner an den Spur ins Ca ssius, der von seinem
eignen Vater zum Tode verurtheilt wurde, weil er sich den Plebejern
günstig erwiesen; an die 200 edlen Fabier, die aus dein gleichen
Grunde von ihren Standesgenossen dem Feinde schändlich geopfert
wurden. Höher noch steigerte sich der Frevelmuth in der Ermordung
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Xiv. §. 4. Verderbniß in Rom.
203
zen erregen und Nothstände herbeiführen, durch welche Denen, die noch
sehen konnten und wollten, die Augen geöffnet wurden über das
sittliche Berderben und die Nothwendigkeit der Umkehr. Es gab
aber zwei Punkte, wo Rom für schmerzliche Wunden und Geschwüre
sehr empfänglich war, die äußere Politik und die innere Ordnung
des Staats. Nach außen hin brauchte Rom freilich vor der Hand
nichts zu fürchten, denn alle unterthänigen oder benachbarten Völker
waren, wenigstens nach dem Osten und Süden hin, verderbter und
entsittlichter, schwächer und elender als die Römer selbst. Auf den
anderen Punkten aber, im Norden und Nordwesten, sollten sie erst
etwas später ihrer Schwäche inne werden. Dagegen im Innersten
des Staats, in Rom's Mauern, brach eine Revolution aus, welche
nicht bloß die vorhandenen Nebel in schmählichster Weise bloßlegte,
sondern auch so betrübte Zustände in ihrem Gefolge hatte, daß von
da an der römische Staat fast ein Jahrhundert hindurch an einem
schleichenden Fieber hinzusiechen schien. Die Noth war, daß keine
Leute mehr da waren, welche den Staat regieren konnten. Der Adel,
d. h. die früheren Patricier, durch die plebejischen Beamtenfamilien
verstärkt, der früher an Weisheit, Kraft und Hoheit einer Reihe von
Königen glich, bestand jetzt aus lauter Sklaven des Eigennutzes,
welche ihre Amtsgewalt, besonders in den Provinzen, nur dazu be-
nutzten, um sich zu bereichern, um ausgedehnte Ländereien als Grund-
besitz zu gewinnen, um sich mit Schaaren von Sklaven und Clienten,
mit unaufhörlichem Wechsel von Genüssen zu umgeben, um jeden
fremden Eindringling (homo novus) aus dem Optimatenkreise fern
zu halten, um das Volk durch Stimmenkauf, glänzende Spiele und
Bestechungen zu gewinnen. Das Volk aber, ehemals ein Muster
von ackerbauender Einfachheit, Nüchternheit, Selbstverleugnung und
Vaterlandsliebe, war jetzt durch das ruhelose Kriegsleben verwildert,
durch die Beute verwöhnt, um sein Erbgut von den Reicheren betro-
gen, ohne höheres Interesse als seine Existenz, ohne Arbeitslust, ohne
Fähigkeit, sich in ärmliche Verhältnisse zu schicken, ohne Fürsprecher
und Berather, ohne Geld, ohne Heerd, eine zuchtlose Masse, die täg-
lich durch Einwanderung aus den italischen Städten neuen Zuwachs
bekam, die durch Aussendung von Colonieen nicht mehr hinlänglich
zerstreut werden konnte, und durch die jetzt seltenen Kriege nicht mehr
wie vormals zu Tausenden aufgerieben wurde. Diese wüste Masse
sollte in ihren Comitien die Entscheidung geben über Gesetze, Beam-
tenwahlen, Kriegführung u. s. w. Sie machte daraus ein einträg-
liches Geschäft, indem sie ihre Stimmen verkaufte. Nur der meist-
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332 Xix. §. 5. Bonifacius, Gründer der deutschen Kirche.
der die bisher selbständig und willkürlich in ihrem Sprengel wirth-
schastenden Bischöfe unter feste Zucht stellte, durch strenge Regeln
zügelte und zum gemeinsamen Gehorsam gegen des Papstes Anord-
nungen verpflichtete. Es waren ja auch nicht eigentlich heidnische
Länder, wo er wirkte, sondern ste waren alle dem fränkischen Scepter
unterworfen, und das Ehriftenthum war überall schon gekannt und
verbreitet. Denn das ganze mittlere Deutschland bis zur Saale, und
die südlicheren Donauländer gehörten damals unter dem Namen
Austrasien zum fränkischen Reich. Hessen und Thüringen, der
Hauptschauplatz seiner Wirksamkeit, mochten noch am meisten Heiden-
thum aufzuweisen haben, und dort tritt seine missionarische Thä-
tigkeit auch noch am meisten hervor. Dagegen Bayern und Ale-
ni annien waren durch die irischen' und fränkischen Missionare schon
längst gänzlich dem Christenthum wiedergcwonnen. Es galt also nur,
die dortigen Bischöfe nach festen Regeln unter eine gemeinsame Ober-
leitung zu ordnen. Das that Bonifacius, indem er das Erzbis-
thum Mainz zur obersten geistlichen Stelle (Primat) machte, dem
alle Bischöfe in Austrasien untergeordnet waren. In Hessen und
Thüringen, wo er selbst erst neue Bisthümer gründete, ergab es sich
von selbst, daß ihm als Erzbischof von Mainz auch die unmittelbare
bischöfliche Verwaltung dieses ausgedehnten Sprengels zufiel. Durch
seine frühere Verbindung mit dem' Bischof von Utrecht endlich und
seine ehemalige missionarische Thätigkeit in Friesland — zu wel-
cher er auch im Alter zurückkehrte und mit der er sein Leben als Mär-
tyrer beschloß 735 — war es leicht zu bewerkstelligen, daß auch der
friesische Sprengel unter die Oberaufsicht des Mainzer Erzbischofs
gestellt wurde (doch so, daß Utrecht, Tongern, Lüttich zunächst der be-
sondern Aufsicht des alten Kölner Erzbisthums untergeordnet war).
Und so war es nun in der That zwischen den germanischen Völker-
stämmen des jetzigen Deutschlands, die sich damals kaum unter ein-
ander verständigen konnten wegen ihrer verschiedenen Sprachformen,
und die in tausend Fehden an einander zu gerathen stets bereit wa-
ren, zu einer festen Einigung, zu einer haltbaren unzerreißlichcn Ver-
bindung gekommen. Das Erzbisthum Mainz mit den sämmtlichen
seiner Oberaufsicht untergebenen deutschen Bisthümcrn ist der feste Kern
geworden, um den sich Alles angesetzt hat, was seitdem zu Deutschland
noch hinzugekommen ist.
Die ganze großartige Thätigkeit des Bonifacius beschränkte sich
also auf den östlichen Theil des großen Frankenreichs, welches da-
mals Austrien oder Austrasien genannt wurde und außer den Rhein.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Hessen Erzbis-
thum_Mainz Hessen Mainz Utrecht Friesland Utrecht Deutschlands Mainz Deutschland Frankenreichs Rhein
382 H §• 9. Uebergang des Kaiserthums vvn dem sächsischen Hause re.
lichkeit in den Bisthümern und Klöstern immer ausgedehntere Be-
fugnisse und herrschaftliche Rechte zugestand. Die deutschen Bischöfe
waren seine Minister, seine Feldherren und seine Unterhändler und Ge-
sandten, sie bildeten seine Kanzlei und seinen Staatsrath, ihnen ver-
traute er am liebsten die Verwaltung der deutschen Territorien an.
Fast kein Abt oder Bischof war da, der nicht ein bedeutendes Landge-
biet besessen und es als Graf oder mit herzoglichen Rechten zu verwalten
gehabt hätte. Auf die Anhänglichkeit der Geistlichen suchte Heinrich
die Sicherheit und Macht seines Thrones zu gründen. Sein Nach-
folger Konrad Ii. dagegen wählte ein anderes Mittel. Er begün-
stigte die damals besonders im südlichen Deutschland aufblühen-
den Städte, er suchte die Reichsdienstmannen und die freien
Leute wieder mehr in das Interesse des Königs zu ziehen, er hob den
niedern Adel, die kleineren Lehensträger, absichtlich empor gegen die
großen Herzöge und Markgrafen, deren Zahl und Macht er möglichst
zu verringern suchte. Und wirklich schienen diese Maßregeln für den
Augenblick einen guten Erfolg zu haben. Denn unter Konrad Ii.
(1024—1039), dem ersten fränkischen Kaiser, der aus der freien
Wahl des deutschen Volkes hervorging, hob sich die königliche Macht
in Deutschland wieder zusehends, sowohl im Innern als nach außen.
Zwar die Mark Schleswig ging für immer an den Dänenkönig ver-
loren. Aber das Wendenland und Polen mußte die deutsche Ober-
hoheit wieder anerkennen. Vor allen Dingen: das burgundische
Reich wird theils durch Waffengewalt, theils durch Erbschaft mit
Deutschland vereinigt. Auch in Italien war der deutsche Einfluß
wieder im Zunehmen begriffen, wiewohl noch viel fehlte, daß der Kai-
ser sich als Herr des Landes betrachten, sich als Schirmvogt des
Papstes und der gesammten Kirche hätte beweisen können. Oder
vielmehr hätte beweisen wollen. Denn dem fränkischen Kaiserhause
fehlte der kirchliche Sinn. Obwohl sich dem Kaiser Konrad persön-
liche Frömmigkeit nicht absprechen läßt, so hatte er doch nicht das mindeste
Verständniß noch Interesse für kirchliche Dinge. Nur wie weit die
Bischöfe und Siebte seinem hochstrebenden Herrsschergelüst dienten,
waren sie ihm werth und wichtig. Uebrigens bekümmerte er sich we-
der um die Reformation im Innern (die Heinrich Ii. anzubahnen
suchte), noch um die Mission nach außen. Ungestört durften die wen-
dischen Vasallen ihre heidnischen Götzenbilder vor dem kaiserlichen Heere
einhertragen und alle Bitten und Gegenvorstellungen der geärgerten
Ehristen ließen den Kaiser unbewegt. Ungescheut knechtete er selbst
die Kirche und ihre Diener wie und wo er nur konnte, ohne zu ahnen,
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Extrahierte Personennamen: Heinrich Heinrich Konrad_Ii Konrad Konrad_Ii Konrad Konrad_persön- Konrad Heinrich_Ii Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Polen Deutschland Italien
Xx. §. 4. Uebergang der deutschen Krone auf das sächsische Haus. 369
Interesse es erheischte, das Wohl des ihnen anvertrauten Landes-
theils mit allem Eifer zu fördern. Dazu mußte ihnen ihr Gebiet
als eine königliche Verleihung oder Lehen zugesprochen werden.
Aber es war eben nur eine Verleihung, die an gewisse Bedingungen
geknüpft war. Der König, so war Hatto's Gedanke, blieb der
eigentliche Herr und Besitzer des Landes. Sobald das Fürstenhaus,
dem er es verliehen hatte, ausstarb oder durch Unthaten seine Rechte
und Güter verwirkte, hatte der König das Recht, die Provinz wieder
an andere Fürsten zu verleihen. Dadurch waren die Herzöge schon
an den Gehorsam des Kaisers gefesselt. Noch mehr dadurch, daß
sie dem Könige zur Heeresfolge verpflichtet waren und ihm gewisse
Dienste zu leisten hatten, ferner dadurch, daß sie bei jeder Aufleh-
nung gegen den König die ganze Macht der Geistlichkeit gegen sich
zu wenden fürchten mußten, und endlich dadurch, daß ihre Streitig-
keiten der Entscheidung des Königs unterlagen. Also ungefähr in
gleicher Weise wie deutsche Bischöfe und Erzbischöfe, selbständig in
ihren Sprengeln, doch der Oberaufsicht des Primas unterworfen wa-
ren, so sollten die deutschen Herzöge und Markgrafen dem König un-
terworfen sein, und wie der Primas sammt allen seinen Bischöfen
und allen fremden Bischöfen wieder unter dem Papste stand, so sollte
auch der Deutsche mit seinen Herzögen und allen fremden Königen
unter dem Kaiser stehen — wenn nämlich erst wieder ein Kaiser da
wäre, der diesen Namen verdiente. So gestaltete sich allmälig die
Verfassung Deutschlands. Unter dem Könige (so lange Ludwig
das Kind König war, blieb Erzbischof Hatto Vormund und Re-
gent) sehen wir die vier großen Herzöge mit ihren Gefolgsleuten,
nämlich Otto den Erlauchten, Herzog von Sachsen und Thü-
ringen, Leutpold, und nach ihm seinen Sohn Arnulf, Herzog
von Bayern, Gebhard, und nach ihm Reginar, Herzog von
Lothringen, Kon rad, Herzog von Franken (hessische Länder und
das Stromgebiet des Main). Nur für Schwaben oder Aleman-
nien fehlte der Herzog noch. Die mächtigen Familien in jener Ge-
gend machten sich gegenseitig die höchste Gewalt im Lande streitig;
es fand sich kein über alle anderen entschieden hervorragendes Haupt.
Was sollte nun aber werden, wenn die bisherige karolingische Kö-
nigsfamilie ausstarb? (Ludwig das Kind starb 911.) Da blieb
nichts Anderes übrig, als aus den mächtigen Herzögen selbst den
einen zum König zu machen. Nach einigem Schwanken ward diese
Erhebung dem Sachsenherzog zu Theil.
v. Rohden, Leltfaden.
24
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Ludwig Hatto_Vormund Otto Gebhard Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Sachsen Leutpold Bayern Lothringen Main Schwaben
442 Xxii. §. 5. Erstes Hervortreten Frankreichs zur Demütigung rc.
Das französische Reich, welches uns hier zum ersten Male in so
gewaltsamer Weise entgegentritt, hat unter dem capetingischen Königs-
geschlecht (seit 987) eine ganz andere Entwicklung genommen, als unser
deutsches Reich. Von dem Glanz und der Thatkraft und Größe deut-
scher Kaiser haben wir bei den französischen Königen nichts zu erwar-
ten. Sie waren lange Zeit hindurch ziemlich ohnmächtige Fürsten, die
nur in einem kleinen Theile des Landes, in dem eigentlichen Franzien
eine wirkliche Herrschaft ausübten. Alle die ringsum liegenden Land-
schaften, die Normandie, Champagne, Flandern, Burgund, Toulouse,
Guyenne u. s. w. gehörten Vasallen, welche mächtiger waren, als der
König selbst und sich wenig um ihn kümmerten. Da war es nun die
schwere, Jahrhunderte in Anspruch nehmende Aufgabe der französischen
Könige, diese großen Herren allmälig zu beugen, sie wenigstens zur
Anerkennung der oberrichterlichen Gewalt ihres Königs zu bringen.
Das war ihnen durch List und Gewalt zum großen Theil gelungen.
Einen Theil der Provinzen, z. B. Normandie und Toulouse, hatten sie
sogar völlig unterworfen und unter ihre eigne Herrschaft gebracht.
Die noch übrigen Herzöge und Grafen wurden durch Verschwägerungen
an die königliche Familie gefesselt, und die gerechte und uneigennützige
Regierung Ludwig's des Heiligen hatte endlich allen Widerstand der
Großen beseitigt. Jedermann fühlte sich wohl unter einem so väter-
lichen Regiments. Eine so wohl begründete und befestigte Macht kam
nun in die Hände des ehrgeizigen, unternehmenden, vor Nichts zurück-
weichenden Philipp Iv. Die königliche Gewalt zur alleinigen
unumschränkten Gewalt in ganz Frankreich zu macken, das war das
klar bewußte Ziel seines Strebens. Adel und Geistlichkeit wußte er
aus geschickte Weise ihres Ansehens und Einflusses im Volk zu berau-
den, indem er die ganze Verwaltung, vor Allem die ganze Gesetzgebung
und Gerichtsbarkeit in die Hände besonderer Rechtskundiger (Juristen,
damals Legisten) brachte, die, meist aus dem niedern Volk hervorgegan-
gen , mit diesem zu immer größerer Bedeutung emporstiegen und in
Parlamenten, Steuerkammern, ständischen und städtischen Versammlungen
ihre Wichtigkeit fühlen lernten, aber mit unwandelbarer Treue dem
König anhingen, der sie erhoben hat und augenblicklich wieder stürzen
kann. Durch dies neugeschaffene Beamtenheer, dergleichen man sonst in
christlichen Staaten noch nie gekannt hatte, übte Philipp die vollkom-
menste Gewalt über sein ganzes Volk. Diese gelehrten Beamten waren
es, die für ihn redeten, für ihn zur Feder griffen, und in gewandter
und überzeugender Darlegung die Rechte des Königthums dem Papst
und der Geistlichkeit gegenüber verfochten, die Nothwendigkeit der staat-
lichen Einheit und des unterthänigen Gehorsams hervorhoben, eben so
aber auch den Bonifacius als ein Ketzer, die Tempelherren, nach
deren Reichthümern der König lüstern war und die er schändlich umge-
bracht hat, als greuliche Lästerer und Götzendiener dem Volke vormalen
mußten. Treue und Glauben ist in diesem Königreich längst dahin,
von Religion, von den allgemeinen Interessen der gesammten Christen-
heit ist nicht mehr die Rede, an ein väterlich vertrauendes Verhältniß
des Königs zu seinen Unterthanen ist nicht zu denken — überall der
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Extrahierte Personennamen: Guyenne Philipp_Iv Philipp Philipp Philipp
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Flandern Burgund Toulouse Toulouse Frankreich
ni. §. 3. Das heidnische Kastenwesen. 23
der Weisen und Priester das Uebergewicht. Man nennt ste deshalb
auch wohl Priesterstaaten. Auch Meroe am obern Lauf des Nil war
ein solcher Priesterstaat. In Aegypten aber ist, wenigstens zu der
Zeit, da Israel im Lande wohnt, die Macht der Priesterkaste schon
zu gleichen Theilen gegangen mit der Kriegerkaste. Denn gewaltige
Kämpfe gegen fremde Völker sind eben vorhergegangen, und der Pha-
rao erscheint nicht mehr bloß als der oberste Priester, sondern auch
als der oberste Krieger, der siegreiche Feldherr, der thatenfrohe Ero-
berer, der wohl gar sich selber Tempel bauen und Gottesdienste er-
richten läßt. — Wie nun diese ganze Kasteneinrichtung galt als eine
göttlich gewollte und geheiligte Ordnung, so hatte jede Kaste ihre
besonderen Götter und Gottesdienste; jede umgab sich mit religiöser
Scheu und grenzte sich durch Göttersprüche gegen alles Fremde ab.
Siehe, da mußte wiederum jener fremde hebräische Knecht, aus
einem Stande, dem die allergeringsten und verachtetsten Kasten
Aegyptens angehörten, aus dem Viehhirtenstand, das ganze Getriebe
der einheimischen Kasten durchbrechen. Er trat dem König zur Seite
als Regent des Landes, und der Oberpriester mußte ihm seine Toch-
ter zum Weibe geben. Und dieser Emporkömmling durfte es wagen,
alle ihre wohlbemessenen ländlichen Einrichtungen umzustoßen, den
gesammten Grundbesitz der freien Aegypter ihnen aus den Händen
zu winden und als königliches Eigenthum den bisherigen Besitzern
nur gegen eine bestimmte Pachtsumme zur Bebauung zu überlassen.
Die bis dahin freien Landsassen wurden somit in hörige Pächter der
königlichen Güter und der Tempelgüter verwandelt (1 Mos. 47).
Späte Documente (eines Herodot, Diodor, Strabo) geben
Zeugniß, daß diese von Joseph herbeigeführte tiefgreifende Um-
wandlung der inneren Verhältnisse Bestand gehabt und bis in die
späteren Jahrhunderte hinein sich erhalten hat. Also nicht bloß die
Weisheit der Aegypter hat Gott durch den Sendboten seines ge-
heiligten Samens zu Schanden gemacht, sondern auch die in stolzer
Selbstgenügsamkeit sich abschließenden Kasten durchbrochen, und das
Loos der freien Grundbesitzer, die mit solcher Verachtung auf die
freien Hirten der Wüste herabsahen, scheinbar erschwert, in der
That aber nur geregelt, indem er sie den willkürlichen Anforderun-
gen der Könige und der Priesterkaste entzog und ein geordnetes bil-
liges Pachtverhältniß mit verhältnißmäßig geringfügigem Zins herftellte.
Daß Aegypten oder Mizraim zu der großen Nachkommenschaft
des Ham gehörte, sagt uns 1 Mos. 10, 6. Mizraim war ein
Sohn des Ham und ein Bruder des Cusch (Mohrenland, Aethiopien)
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Xiii. §. 3. Entstehungsgeschichte Rom's. 171
Longa wurde der Vorort eines latinischen Städtebundes von etwa dreißig
selbständigen Städten, in welchen entweder erbliche Königssamilien oder
jährlich wechselnde Prätoren, Dictatoren rc. die Leitung in Händen hatten.
§. 3. Entstehungsgeschichte Rom's.
Die früheren Weltreiche waren von bestimmten Völkern errichtet,
welche ihr besonderes Gepräge vom Herrn empfangen hatten und
deshalb auch in der göttlichen Weissagung mit bekannten Geschöpfen
verglichen und bezeichnet werden konnten. So wird das babylonische
Chaldäervolk Dan. 7 mit dem Bären verglichen, das Volk der Me-
der und Perser mit dem Löwen, die Griechen mit dem gefleckten Par-
del, und an einer andern Stelle die Griechen mit dem Ziegenbock
und die Perser mit dem Widder (Dan. 8). Aber die Römer sind
ein so sehr viel anderes und eigenthümliches Volk, daß sie mit gar
keinem bekannten Thiere verglichen werden können. Rom wird be-
schrieben als ein namenloses Ungeheuer. Die Eigenthümlichkeit des
Ungeheuers besteht aber darin, daß es nicht ein einheitliches Ganze
bildet, sondern aus verschiedenen Geschöpfen zusammengesetzt ist, so
daß der eine Theil etwa einem Pferde, andere Glieder einem Vogel, der
Kopf einem Menschen anzugehören scheint, oder wie sonst die Zusam-
mensetzung sein mag. Eben dies ist nun die Eigenthümlichkeit des
Römervolks. Es war ursprünglich gar kein Volk, sondern eine Stadt-
gemeinde (ähnlich wie Athener, Spartaner u. s. w.), und diese Stadt-
gemeinde bestand nicht aus lauter gleichartigen Bestandtheilen, die
aus derselben Wurzel entsprungen, von demselben Saft und Geist
erfüllt sind, sondern aus Bruchtheilen dreier verschiedener Völker: der
Latiner (die selber schon ein Mischvolk waren), der Sabiner und der
Etrusker. Diese drei verschiedenen Volkstheile wuchsen aber nicht durch
längeres Zusammenleben allmälig zu einem neuen Ganzen zusammen,
sondern auf dem Wege des Vertrags, der berechneten und unter festen
Bedingungen erfolgten Einigung verbanden sie sich zu einem künstlich
gefügten Staatsorganismus. Sie stellten sich nämlich unter eine ge-
meinsame Regierung, nahmen gemeinsame religiöse, politische und bür-
gerliche Gebräuche an, verpflichteten sich gegenseitig zu bestimmten
Leistungen und räumten einander bestimmte Rechte ein. So erwuchs
das Volk aus drei Tribus oder Stämmen, den (latinischen)
Ramnes, den (sabinischen) Tities und den (etruskischen) Luceres. Das
waren ursprünglich drei von einander gesonderte Gemeinden, jede
unter ihrem Tribunus (Vorsteher, Vertreter). In jeder Tribus waren
natürlich Leute von verschiedener Herkunft, Bildung und Vermögen.
Sie theilten sich in Curien, von denen jede ihre besonderen Gottesdienste,
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